Was der Sieg von Biden und Harris bedeuten kann

Eine überzeugende Wahl

Nun steht es also fest: Vier lange Tage hatte es gedauert, genug Stimmen auszuzählen, um herauszufinden, wer die US-Präsidentschaftswahlen von 2020 gewonnen hat. Die Sieger, Joe Biden und Kamala Harris, haben sich am Ende deutlich durchgesetzt. Der Sieg fiel dabei alles andere als knapp aus, was zunächst durch die lange Auszählung und die vorübergehende Führung Donald Trumps in wichtigen Bundesstaaten verdeckt wurde. Bereits jetzt haben Biden und Harris rund 5,5 Millionen Stimmen mehr als Trump und sein Vize Mike Pence erhalten. Dieser Vorsprung dürfte sich noch weiter vergrößern; eine Zielmarke von sechs bis sieben Millionen Stimmen Abstand dürfte dabei realistisch sein. Auch konnten die Demokraten gleich fünf Staaten (Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania, Wisconsin) und einen Kongressbezirk in Nebraska erobern. Dass der Herausforderer einen zur Wiederwahl stehenden Amtsinhaber besiegte, ist zudem eine besondere und seltene Leistung, schließlich geschah dies im letzten Jahrhundert überhaupt nur fünf Mal: 1912, 1932, 1976, 1980 und 1992. Historisch ist die Wahl dabei gleich aus zwei Gründen: Zum einen bedeutet der Sieg von Kamala Harris, dass zum ersten Mal eine Frau und zudem zum ersten Mal eine nichtweiße Amerikanerin das Amt der Vizepräsidentin ausfüllt. Zum anderen haben Biden und Harris so viele Stimmen geholt wie kein Kandidatenteam zuvor in der US-Geschichte, nämlich mehr als 80 Millionen. Wobei man hier hinzufügen sollte, dass auch Trump mehr Stimmen geholt hat als 2016 und sogar mehr als Barack Obama im Jahr 2008. Seine mehr als 75 Millionen Stimmen sprechen daher eine deutliche Sprache: Der Trumpismus ist nicht nicht tot und wird die republikanische Partei noch lange beschäftigen.

Wahlanalyse – Und was sich aus 2020 für die Zukunft ableiten lässt

Mit 306 zu 232 Stimmen im Electoral College haben Biden und Harris kurioserweise mit genau demselben Abstand gewonnen, mit dem Trump 2016 Hillary Clinton schlug. Für die Demokraten dabei besonders wichtig: Sie haben ihre blaue Mauer, den mittlerweile berühmten „Blue Wall“, wiedererrichtet: Wisconsin, Michigan und Pennsylvania und dazu die (für die Demokraten eher sicheren) Staaten Virginia, Minnesota und New Hampshire bilden einen Block, gegen den man in den USA nur schwerlich Präsident werden kann. Die Siege in den drei erstgenannten Staaten – insbesondere der deutliche Sieg in Michigan – können dabei aber nicht überdecken, dass die Demokraten auch künftig vermehrt um diese Staaten werden kämpfen müssen. Die überwiegend weißen Arbeiter und Arbeiterinnen im „Rust Belt“ wählen schon länger nicht mehr automatisch demokratisch und sind überdies für identitätspolitische und kulturelle Angebote von rechts offen. Das hat Trumps Erfolg dort im Jahr 2016 eindrucksvoll belegt. Zudem zeigt sich erneut, dass die Verschiebungen in den Swing States – und vor allem: welche Staaten überhaupt als solche gelten dürfen – nicht nur den Demokraten nützen.

Licht und Schatten für beide Parteien

So haben sich zwar Colorado, Virginia, New Mexiko, New Hampshire und Nevada zunehmend zu Hochburgen der Demokraten entwickelt. Gleichzeitig wird es für sie jedoch immer schwerer, Ohio, Iowa oder Florida zu erobern. Die dortigen demographischen, kulturellen und politischen Veränderungen lassen diese drei Staaten zunehmend ins Lager der Republikaner überlaufen. Im ländlichen Iowa und in der Industriebrache Ohio ist es der Verdruss über die kosmopolitische, sich vermeintlich oder tatsächlich vor allem um Minderheitenrechte scherende Demokraten-Elite an den Küsten, der den Republikanern hilft. In Florida wiederum siedeln sich bevorzugt (weiße) Ruheständler an, um dort in der Sonne ihren Lebensabend zu verbringen. Ältere Weiße sind aber eine der Kernwählergruppen der Republikaner. Auch wählen die dortigen Latinos aufgrund ihrer überwiegend kubanischen Herkunft, die sie geradezu allergisch für jedwede Form von „Sozialismus“ werden lässt, meist konservativ (dies gilt selbst dann, wenn dieser „Sozialismus“ nur darin besteht, erkrankte Menschen nicht einfach sterben zu lassen, sondern ihnen eine günstige staatliche Krankenversicherung anzubieten).

Hoffnung kann den Demokraten aber machen, dass Sie Arizona und Georgia erobern konnten und spätestens 2024 oder 2028 realistische Chancen haben werden, sogar Texas blau zu färben. In Georgia war diesmal, nach allem was bisher bekannt ist, vor allem die große Mobilisierung unter der schwarzen Einwohnerschaft bedeutsam. In Arizona und Texas sind es hingegen die massiven demografischen Veränderungen, sprich: Der Zuzug von sozialpolitisch eher links orientierten Latinos aus Südamerika und deren höhere Geburtenrate, die beide Staaten immer weiter zu den Demokraten treiben. Die hier skizzierten Veränderungen bedeuten also für beide Parteien Licht und Schatten und werden dafür sorgen, dass auch künftig beide Parteien Chancen auf US-weite Wahlsiege haben. Der Traum der Demokraten von „demographic eternity“, also einer schleichenden Monopolisierung der politischen Macht in den USA als Folge wachsender Bevölkerungsanteile von Latinos, Asiaten und Schwarzen, dürfte sich hingegen bis auf Weiteres als Luftnummer erweisen.

Gerade deshalb wird es für die Demokraten auch in Zukunft darauf ankommen – und Joe Biden hat dies vorgemacht –, sich nicht nur auf Schwarze, Latinos und andere Minderheiten zu verlassen. Denn, so hart dies auch sein kann: In einer Demokratie entscheidet nun einmal die Mehrheit. Und die ist in den USA immer noch weiß. Und ja, der Bevölkerungsanteil der Weißen nimmt in den USA ab. Aber eben nur langsam, und selbst wenn irgendwann die Weißen nicht mehr als 50 % der Wählenden stellen sollten, werden sie bis auf absehbare Zeit zumindest die relativ größte Gruppe stellen. Für die Demokraten ist es also entscheidend, neben rund 90 % der Schwarzen und rund 66 % der Asiaten und Latinos auch künftig mindestens rund 40 % der Weißen für sich zu gewinnen. Joe Biden ist dies offenbar gelungen, Hillary Clinton scheiterte daran.

Was der Sieg von Biden und Harris für die US-Außenpolitik bedeutet

US-amerikanische Innenpolitik ist eine interessante Angelegenheit, für uns in Europa ist aber wichtiger, wie sich die US-Außenpolitik künftig entwickeln wird. Zugegeben, beides ist eng miteinander verknüpft. Trotzdem ist es legitim, in einem kurzen Blogbeitrag sich einmal nur auf die Außenpolitik zu konzentrieren. Dabei sei zunächst angemerkt, dass die Frage nach der künftigen Mehrheit im US-Senat bedeutsam ist. Anders als das mehrheitlich demokratische Repräsentantenhaus hat der Senat nämlich erheblichen Einfluss auf die Außenpolitik und muss etwa völkerrechtliche Verträge ratifizieren. Die Demokraten haben hier nicht so viele Sitze hinzugewonnen wie erhofft, haben aber die Chance, im Januar in Georgia noch zwei Sitze in Stichwahlen hinzuzugewinnen. Dann stünde es im Senat 50:50 und bei einem Patt wäre die Stimme der neuen Vizepräsidentin Kamala Harris entscheidend.

            1. Klimapolitik

Joe Biden hat versprochen, am ersten Tag seiner Amtszeit die USA in das Pariser Klimaabkommen zurückzubringen. Dies ist jedoch nur der erste Schritt hin zu einer echten US-amerikanischen Klimapolitik, die diesen Namen auch verdient. Biden weiß das, weswegen er unter anderem die CO2-Neutralität der US-Stromproduktion bis 2035 anpeilt, ebenso wie die Förderung von emissionsarmen Formen des ÖPNV.

            2. NATO und Sicherheitspolitik

Donald Trump war die größte Gefahr für den Bestand der NATO seit dem Zerfall der Sowjetunion. Er drohte unverhohlen mit einem Austritt der USA und bezichtigte die Verbündeten, zu wenig Geld ins Militär zu stecken. Mit Joe Biden sind alle US-Ausstiegsdrohungen hinfällig geworden. Was aber bleiben wird, ist die alte US-amerikanische Forderung nach höheren europäischen Verteidigungsausgaben. Diese Forderung ist dabei nicht neu, wie diese Rede der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher vor dem US-Kongress aus dem Jahr 1985 eindrucksvoll zeigt (im Video ab Minute 23:00). Zudem teilen andere NATO-Staaten wie Großbritannien, Polen und die baltischen Länder diese Kritik. Und tatsächlich haben Deutschland und andere Staaten ihr Militärbudget bereits kräftig erhöht, um diversen Sicherheitsgefahren besser begegnen zu können. Langfristig stellen sich aber vor allem zwei Fragen an die NATO: Erstens, wie verhält sich die Allianz gegenüber China und soll sie, anders als ihr Name impliziert, auch im Pazifik eine Rolle spielen? Und zweitens, wie wird sich die wachsende Forderung nach einer europäischen Armee mit der NATO vertragen? Angela Merkel und andere fordern, eine EU-Armee solle innerhalb der NATO „gemeinsam auftreten“ (im Video ab Minute 17:40). Wie genau dies gestaltet werden könnte, wird aber noch eine große Denksportaufgabe.

            3. Außenhandel

Hier sollte man sich nicht täuschen: Die Wahrnehmung, Amerikas Industrie müsse gegen ausländische Importe abgeschottet werden, ist aufseiten der Demokraten schon lange genauso verbreitet wie bei den Republikanern. Auch Biden nutzt Schlagworte wie „Buy American“ oder „Make it in America“. Er wird insbesondere den von Trump verschärften Kurs gegenüber China fortsetzen. Für die US-EU-Beziehungen im Handel dürfte indes eine leichtere Zeit anbrechen, und sei es nur aufgrund des neuen Tonfalls. Schon unter Trump war der Handelsstreit der USA mit der EU nicht so heftig wie der mit China. Biden dürfte einen Teil der von Trump verhängten  US-Zölle auf EU-Güter bald abräumen, insofern die EU nachzieht und ihre Strafzölle auf US-Produkte einstellt. Trotzdem dürften die Zeiten des deutschen Exportbooms in die USA nicht nur wegen Corona vorbei sein. Ob sich die USA mit ihrer neuen Abschottungspolitik allerdings einen Gefallen tun oder sich in erster Linie die Konsumentenpreise erhöhen werden, steht in den Sternen.

Fazit

Man kann den USA zu ihrem neuen Präsidenten nur gratulieren. Joe Biden gilt als emphatisch, rücksichtsvoll und kompromissbereit. Er hat in seinem Leben wahrlich schwere Schicksalsschläge zu verkraften gehabt, was ihn sensibilisiert hat für die Sorgen und Nöte all derjenigen, die nicht mit dem sprichwörtlichen „Silbernen Löffel“ im Mund aufgewachsen sind oder aus anderen Gründen finanzielle, gesundheitliche oder soziale Probleme haben. Zugleich bleibt die teilweise scharfe Polarisierung des Landes bestehen und die Republikaner bleiben klar auf Rechtspopulismus-Kurs. Für die neue US-Regierung wird es daher schwer, ihr Volk wieder zusammenzuführen. Der Kampf gegen das grassierende Coronavirus, das aufstrebende China und die lahmende Wirtschaft werden von Anfang an alle Kräfte binden – der Erfolg ist dabei nicht garantiert. Für Deutschland und die EU bedeutet dies, trotz der berechtigten Erwartungen an eine Wiederannäherung an die USA und nicht zuletzt auch aufgrund unserer eigenen zahlreichen Probleme den eingeschlagenen Weg zu größerer außenpolitischer Souveränität weiterzugehen. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Vollendung des Binnenmarktes und die Schaffung einer gemeinsamen Europäischen Armee müssen daher ganz oben auf der Tagesordnung stehen, unabhängig davon, wer im Weißen Haus regiert.