Serie: Corona und die Politik [Teil 1]

Die Schuldfrage

Die Coronavirus-Krise hat unser Land und die Welt fest im Griff. Dabei zeigt sich immer deutlicher, dass die Krise bei weitem keine rein medizinische Krise ist, auch wenn die gesundheitlichen Folgen derzeit selbstverständlich im Vordergrund stehen. Ich möchte daher zunächst allen ÄrztInnen, PflegerInnen, SanitäterInnen sowie PolizistInnen und BehördenmitarbeiterInnen danken, die alles Menschenmögliche tun, um ihre Mitbürger sicher und gesund zu halten oder sie wieder gesunden zu lassen, wenn sie krank sind (und das gilt ja nicht nur in Zeiten von Corona).

Zugleich zeigt sich, dass diese Krise immer weitere ökonomische, soziale und vor allem auch politische Folgen hat. Da ich – wie viele von Ihnen – in den kommenden Wochen noch mehr Zeit zu Hause verbringen werde als sonst, habe ich mir überlegt, eine kleine Serie zum Thema „Corona und die Politik“ zu beginnen. In der kommenden Zeit werde ich, wo immer möglich auch von meinem Fachwissen als Historiker gestützt, über die möglichen Folgen der Corona-Krise für die Politik und Gesellschaft schreiben. Dabei werde ich oft Vermutungen anstellen, von denen sich manche als falsch herausstellen werden. Einiges wird aber so eintreten. Und ich finde, wir sollten uns als Bürger mental darauf vorbereiten. Denn eines ist schon jetzt klar: Diese Krise wird leider nicht in ein paar Tagen oder Wochen aufhören, sondern sich wahrscheinlich lange hinziehen. Und daraus können sich massive politische Konsequenzen ergeben.

Als erstes möchte ich daher heute auf ein Thema eingehen, das bereits jetzt in den Medien sehr präsent ist: Die Frage, ob jemand – und wenn ja, wer – an der Pandemie die Schuld trägt.

Schuld und Verantwortung

Kann jemand an einer Krankheit „Schuld“ sein? Die Frage ist berechtigt, denn in der Vergangenheit wurden oft Sündenböcke für Seuchen gesucht (etwa die Juden im 14. Jahrhundert, die als „Brunnenvergifter“ fälschlicherweise für die Pest verantwortlich gemacht und verfolgt wurden). Doch geht es bei der Aufarbeitung der Coronavirus-Pandemie nicht um die plumpe Suche nach Sündenböcken. Dass es derzeit weltweit rassistisch motivierte Übergriffe auf Menschen asiatischer Abstammung gibt, ist furchtbar. Und gerade weil es zu verhindern gilt, dass sich Menschen unschuldige Sündenböcke suchen, muss die Frage nach der wirklichen Verantwortung für die Seuche offen gestellt werden. Der Begriff Verantwortung passt dabei auch besser als der moralisch aufgeladene Begriff der Schuld, denn es geht vor allem um die Aufarbeitung des Pandemie-Verlaufs und darum, mit diesem Wissen künftige Ausbrüche effektiver zu begrenzen. Dafür ist es notwendig, sich die ersten Reaktionen auf den Ausbruch in China und den frühen Umgang mit Corona zu vergegenwärtigen.

Es ist bekannt, dass das Coronavirus seinen Anfang in der chinesischen Millionenstadt Wuhan nahm und wahrscheinlich auf einem Wildtiermarkt erstmals vom Tier auf einen Menschen übersprang. Die WHO schätzt, dass dies Ende November oder Anfang Dezember 2019 passiert sein muss. Von da an breitete sich das Virus zunächst unerkannt und dann erkannt aber ungehindert aus. Erst am 31. Dezember informierte die chinesische Regierung die WHO über eine rätselhafte Häufung von Lungeninfektionen in Wuhan.

Es ist mittlerweile auch bekannt, dass in den ersten Wochen örtliche Beamte der Kommunistischen Partei in Wuhan alles getan haben, um den Ausbruch von COVID-19 zu vertuschen. Sie fürchteten, falls Probleme in ihrem Bezirk bekannt würden, persönlich für selbige verantwortlich gemacht zu werden und ihre Chancen auf Karriere in der Partei zu verlieren. Ihr Verhalten hat damit einmal mehr die eklatanten Schwächen von Diktaturen wie der chinesischen Einparteienherrschaft deutlich gemacht. Der Mangel an Transparenz, die grassierende Korruption, aber auch die Angst kleinerer Parteikader vor ihrer eigenen Führung haben dazu geführt, dass aus einem lokalen Gesundheitsproblem eine globale Krise werden konnte. Sie, die örtlichen Beamten, aber auch der chinesische Staat insgesamt haben damit eine große Verantwortung auf sich geladen, denn sie hätten die Chance gehabt, die weltweite Ausbreitung des Virus im Keim zu ersticken oder zumindest einzudämmen. Zudem zeigt das Coronavirus wie zuvor einige andere Seuchen auch, dass der in China übliche Handel mit Wildtieren immer wieder Quelle übler Krankheiten ist. Dass die chinesische Regierung diesen Handel nicht endlich konsequent unterbindet, ist ebenfalls fatal.

Umso dreister ist es, dass Chinas Regierung nun versucht, mit Verschwörungstheorien den Ursprung des Coronavirus etwa auf die USA zu schieben und sich öffentlich für die Erfolge im Kampf gegen die Ausbreitung feiert. Und genau diese Debatte wird – durchaus zu Recht – die internationalen Beziehungen in der nächsten Zeit belasten. Zwar haben auch andere Regierungen Fehler im Umgang mit Corona gemacht. Doch solange die chinesische Regierung nicht endlich einräumt, hauptverantwortlich für den ungehemmten Ausbruch des Virus zu sein, werden Menschen und Regierungen anderer Staaten China sehr viel kritischer sehen als vorher.

Fazit

Die ohnehin schon belasteten Beziehungen zwischen den USA, der EU und China werden wahrscheinlich weiter verschlechtert – momentane gegenseitige Hilfslieferungen hin oder her. Die internationale Kritik am chinesischen Staatsmodell der semikommunistischen Parteidiktatur wird zunehmen. Für die Zukunft könnte das bedeuten: Eine zunehmend vergiftete Atmosphäre im Umgang miteinander, eine wachsende Gefahr von Konflikten zwischen China und den westlichen Staaten und ein zumindest partielles Zurückfahren der Globalisierung. Doch auf diese Punkte werde ich in einem weiteren Beitrag eingehen.