Derzeit laufen die Koalitionsverhandlungen, um eine neue Regierung zu bilden. Seit Anfang an ist den Beteiligten klar, dass Sicherheitsfragen und die Außenpolitik die größte Baustelle der nächsten Regierung sein werden. Die außenpolitischen Herausforderungen – allen voran der Ukraine-Krieg, der Aufstieg Chinas und die neue Präsidentschaft Donald Trumps – stellen das Land vor selten gekannte Probleme. Zugleich zeigt die behäbige Reaktion des deutschen Staates in vergangenen Krisensituationen wie der Corona-Pandemie oder beim Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, dass es in Deutschland ein Defizit bei der zügigen Reaktion auf drohende Sicherheitsgefahren gibt. Diese Schwachstelle ist nicht neu, aber die Gefahren, denen wir uns heute ausgesetzt sehen, machen ihre Beseitigung immer dringlicher. Im Folgenden argumentiere ich, dass wir einen Nationalen Sicherheitsrat als zentrale Koordinierungsstelle der Bundesregierung brauchen, weil er einen wesentlichen Beitrag dazu leisten könnte, dieses Defizit zu beheben.
1. Warum braucht Deutschland einen Nationalen Sicherheitsrat?
Die Reaktion auf neue, teils unerwartet auftretende sicherheitspolitische Herausforderungen oder akute Gefahren muss oft unter erheblichem Zeitdruck erfolgen. Man denke etwa an Terrordrohungen oder -anschläge, Sabotageaktionen oder eine zwischenstaatliche militärische Eskalation, wie sie seit Februar 2022 zwischen Russland und der Ukraine stattfindet. Auch innere Unruhen, Gesundheitsgefahren wie Pandemien oder die infolge der Erderhitzung immer häufiger auftretenden Naturkatastrophen machen ein schnelles, abgestimmtes Handeln staatlicher Behörden erforderlich. Leider hapert es in Deutschland oft beim abgestimmten Handeln als Reaktion auf solche Herausforderungen.
Vorherige Bundesregierungen benötigten unabhängig von ihrer parteipolitischen Zusammensetzung oft zu lange, um auf sicherheitspolitische Herausforderungen zu reagieren. Entscheidungen wurden häufig sehr spät getroffen und von einem kommunikativen Chaos begleitet, das die Bürgerinnen und Bürger verunsichert. Besonders auffällig sind diese Defizite im Kernbereich der Sicherheit, also in der Außen- und Verteidigungspolitik sowie bei der Terrorabwehr. In diesen Feldern fand und findet erkennbar zu wenig Denken in Szenarien statt, was immer wieder sicherheitspolitische Probleme für Deutschland heraufbeschwört.
Die Corona-Pandemie beispielsweise hatte neben gesundheitlichen und wirtschaftlichen auch außenpolitische Implikationen, etwa die Rolle Chinas. Der deutsche Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021 lief auch deshalb so katastrophal ab, weil sich die beteiligten deutschen Ministerien und ihre Ministerinnen und Minister erkennbar viel zu schlecht abgesprochen hatten und dem „Silodenken“ verhaftet blieben. Und seit Beginn des Ukraine-Krieges wird besonders offensichtlich, wie dringend die Bundesregierung eine zentrale Stelle zur Koordinierung, Planung, Durchführung und Kommunikation ihrer Außen- und Sicherheitspolitik benötigt.

Zur Reaktion auf akut auftretende Probleme und Krisen kommen Daueraufgaben, die ein Nationaler Sicherheitsrat vereinfachen könnte. Hierzu gehören etwa die grundlegende Analyse und Diskussion der allgemeinen geopolitischen Lage, die regierungsinterne Auswertung aktueller geheimdienstlicher Erkenntnisse und die Früherkennung diverser sicherheitspolitischer Risiken. Um insbesondere letzten Punkt zu vereinfachen, sollte zum Nationalen Sicherheitsrat ein mit Fachleuten besetztes Lagezentrum gehören, das die Arbeit des Rates wissenschaftlich-analytisch unterstützt und Empfehlungen in Form von Policy Briefs abgibt.
2. Die Gegenargumente und ihre Entkräftigung
Es gibt Argumente gegen einen Nationalen Sicherheitsrat, die von verschiedenen Stimmen [Beispiele: 1, 2, 3] aus Politik und Wissenschaft vorgetragen werden. Im Folgenden möchte ich diese Argumente skizzieren und anschließend entkräften:
Erstens wird behauptet, ein Nationaler Sicherheitsrat passe nicht zu Deutschlands politischen Strukturen und Traditionen. Dies spielt auf drei in der Tat nicht zu vernachlässigende Faktoren an: den Föderalismus, die parlamentarische Demokratie und die Rolle von Koalitionsregierungen. Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass ein Nationaler Sicherheitsrat selbstverständlich die zahlreichen, sich aus dem Föderalismus ergebenden Koordinierungsprobleme nicht allein wird lösen können. Hierzu bedarf es einer Föderalismusreform unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten, die insbesondere beim Schutz kritischer Infrastruktur sowie der Cyber- und Terrorabwehr die aktuelle Verzettelung löst und mehr Kompetenzen beim Bund sammelt, da die Länder erkennbar mit diesen Aufgaben zunehmend überfordert sind. Zum zweiten Punkt ist zu sagen, dass der Nationale Sicherheitsrat in erster Linie die Abstimmung und Koordination innerhalb der Regierung erleichtern soll. Die Befugnisse des Bundestages sollen durch ihn selbstverständlich nicht berührt werden. Dies ist auch gar nicht nötig, schließlich liegt das sicherheitspolitische Alltagsgeschäft überwiegend bei der Exekutive, während das Parlament eher wenige Grundsatzentscheidungen – etwa zur Entsendung deutscher Soldaten ins Ausland oder der Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge – trifft. Im Übrigen ist auch Großbritannien eine parlamentarische Demokratie und verfügt trotzdem über einen sehr gut funktionierenden Nationalen Sicherheitsrat. Der dritte Punkt ist wiederum genau einer der Gründe, weshalb es einen Nationalen Sicherheitsrat braucht. Schließlich bedeutet das Regieren in einer Koalition, dass zum „Silodenken“ der Ministerialbürokratie unterschiedlicher Ressorts auch noch eine parteitaktische Komponente der Profilierung hinzu kommt. Umso wichtiger wäre es, solchen sicherheitspolitisch schädlichen Auswüchsen einen Riegel vorzuschieben, indem ein Nationaler Sicherheitsrat als zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet wird.
Zweitens wird argumentiert, ein Nationaler Sicherheitsrat sei ein reiner Papiertiger, wenn er keine konkreten Befugnisse erhalten, sondern lediglich als Koordinierungsorgan fungieren würde. Tatsächlich ist richtig, dass ein Nationaler Sicherheitsrat formal eine rein beratende und keine exekutive Funktion hätte. Doch wäre dies eine identische Kompetenzzuschreibung, wie sie seine Pendants in den USA, Frankreich und Großbritannien aufweisen. Auch die dortigen Sicherheitsräte haben keine Entscheidungsbefugnisse! Vielmehr fällen dort Präsident bzw. Premierminister die konkreten Entscheidungen – eine Rolle, die in Deutschland nach wie vor der Bundeskanzler und sein Kabinett ausübten. Die Nationalen Sicherheitsräte in den USA, Großbritannien und Frankreich dienen eher als Forum, Analyseeinrichtung und „Entscheidungsbeschleuniger“ – und haben damit genau die Rolle, die auch ein deutscher Nationaler Sicherheitsrat ausüben könnte.

Drittens wird gemahnt, eine entschlossene Außen- und Sicherheitspolitik benötige in erster Linie mehr Entschlossenheit und Willen, nicht einfach neue Koordinierungszentren. An dieser Aussage ist nichts falsch, sie ist aber zugleich eine Binse. Natürlich müssen die Akteurinnen und Akteure in der Regierung wissen, was sie wollen. Doch kann ein Nationaler Sicherheitsrat gerade bei Konflikten im Kabinett zur Meinungs- und Entscheidungsfindung aktiv beitragen, indem er ein dauerhaft bestehendes Forum für solche Diskussionen bietet. Der so entstehende „institutionelle Zwang“ – oder freundlicher ausgedrückt: der Gewohnheitseffekt –, sich regelmäßig mit den Ansichten der anderen sicherheitsrelevanten Kabinettsmitglieder auseinanderzusetzen, kann die Kompromissfindung fördern. Das Bundeskabinett, dass höchstens einmal wöchentlich für rund eine halbe Stunde tagt, kann dieser Aufgabe sicher nicht nachkommen; ebenso wenig das ohne externe Fachleute und nur selten tagende „Sicherheitskabinett“ oder der faktisch nur bei Rüstungsexporten in Erscheinung tretende Bundessicherheitsrat. Stattdessen würden die beiden letztgenannten Institutionen durch den Nationalen Sicherheitsrat abgelöst.
3. Fazit
Ein in jüngerer Zeit häufig bemühtes Schlagwort ist das der „vernetzten Sicherheit“. Damit ist gemeint, dass man innere und äußere Sicherheit, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Katastrophenschutz, Pandemiebekämpfung, Energieversorgung und andere sicherheitsrelevante Bereiche nicht getrennt voneinander denken darf, sondern dass diese oftmals eng zusammenhängen und entsprechend behandelt werden müssen. So bringt beispielsweise der Krieg in der Ukraine eben nicht nur Herausforderungen für die äußere Sicherheit, sondern auch für den Schutz der kritischen Infrastruktur oder die Energiesicherheit mit sich. Ich bin überzeugt, dass ein Nationaler Sicherheitsrat dabei helfen kann, die vernetzte Sicherheit in Deutschland zu stärken. Die Zeiten sind zu ernst für kleinliche Debatten über die Aufgabenverteilung zwischen den Ressorts oder öffentlich ausgetragene Nickligkeiten zwischen Koalitionspartnern. Deutschland und Europa stehen vor existenziellen Problemen. Es ist Zeit für eine bessere Koordination der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist Zeit für ein gemeinsames Handeln aller zentralen Akteure. Es ist Zeit für einen Nationalen Sicherheitsrat.