Serie: Corona und die Politik [Teil 3]

China und die internationalen Beziehungen

Bereits in den ersten beiden Teilen dieser Serie bin ich auf die Rolle Chinas bei Ausbruch, Bekämpfung und Folgen der Coronavirus-Pandemie eingegangen. Dabei ging es um Chinas Rolle bei der anfänglichen Vertuschung des Ausbruches sowie um mögliche Folgen der Pandemie für die Globalisierung, an der China ja einen wichtigen Anteil hat. Heute soll es nun um die möglichen und in der Tat bereits absehbaren Folgen der Pandemie für die chinesischen Beziehungen zu anderen wichtigen Staaten auf der Welt gehen.

Die neue Sicht

Ich finde, dieses Thema spielt in deutschen Medien eine viel zu geringe Rolle. Zwar berichtet man über den „Propagandakrieg“ zwischen der chinesischen und der US-amerikanischen Regierung, was gegenseitige Vorwürfe und Verschwörungstheorien bezüglich der Herkunft des Coronavirus betrifft. Dieser ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich braut sich in den Beziehungen zu China einiges zusammen. Die Sprache, die wesentliche westliche Entscheidungsträger und Aktivisten in Bezug auf China verwenden, ist dabei gelegentlich martialisch und lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Eine kleine Kostprobe:

1.) Aus britischen Regierungskreisen kommen Warnungen, China stehe ein „Tag der Abrechnung“ bevor. Das Land müsse sich darauf einstellen, ein „Pariastaat“ zu werden. Die Vertuschung bei Ausbruch der Epidemie in Wuhan, der trotz Sars (2002/2003) und anderer aus dem Land stammender Viren nach wie vor unzureichende Wildtierschutz und die Desinformationskampagnen auf der ganzen Welt seien inakzeptabel. Ein erster Schritt wäre es, anders als zunächst beschlossen den chinesischen Netzausrüster Huawei doch nicht am britischen 5G-Ausbau zu beteiligen.

2.) In den USA droht nicht nur der irrlichternde Präsident Trump mit „Konsequenzen“, sondern auch seriösere Vertreter aus Diplomatie und Geheimdiensten geben China für den Ausbruch der globalen Pandemie eine Mitschuld. Für sie kommt das Virus dabei durchaus gelegen, denn die US-Regierung versucht schon seit Jahren, die ökonomische Abhängigkeit von China zu reduzieren. Bisher meist erfolglos, da US-amerikanische Firmen auf Zugang zum günstigen Produktionsstandort und wichtigen Absatzmarkt China drängten. Auch in den Bereichen Militär, Diplomatie und Kultur wird die Auseinandersetzung zwischen den Supermächten immer stärker. Im Kampf um die Hegemonie im Pazifik haben die „China-Falken“ in den USA mit Corona jetzt auf jeden Fall ein weiteres Argument – und bis auf Weiteres Oberwasser.

3.) Die EU sieht China seit Anfang 2019 als „systemischen Rivalen“ an und das zu Recht. Die chinesische Regierung versucht nämlich, mit der „Neuen Seidenstraße“ (ich empfehle dazu dieses eindrückliche Buch von Martin Winter) massiven Einfluss in Asien, Afrika und Europa zu gewinnen. Sie setzt Millionen Uiguren in Lagern fest. Sie provoziert ständig gegenüber Taiwan und anderen ostasiatischen Staaten. Auch in Deutschland gibt es in Politik und Wissenschaft eine breite und hart geführte Debatte etwa darum, ob Huawei am 5G-Ausbau beteiligt werden sollte. Einer der prominentesten Kritiker von Huawei ist der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der auch für den CDU-Vorsitz kandidiert. Er sieht Deutschland in eine neue Abhängigkeit wachsen, die gefährlich sei. Sicherheit und Unabhängigkeit seien im Zweifel wichtiger als wirtschaftliche Interessen beim Netzausbau.

4.) Die unverdächtige NGO „Reporter ohne Grenzen“ beklagt eine „fast totale chinesische Nachrichtenkontrolle“, die der Bekämpfung der Pandemie geschadet habe. Außerdem versuche die chinesische Regierung, eine „neue Weltordnung der Medien“ durchzusetzen. Aktionen wie die Ausweisung einiger US-amerikanischer Reporter oder die noch einmal verschärfte Pressezensur in- und ausländischer Medien seien Indizien dafür, dass China nicht nur ökonomische und politische Macht beanspruche, sondern auch medialen Einfluss überall auf der Welt nehmen wolle.

Das sind nur einige wenige Beispiele für die neue Wachsamkeit gegenüber China. Lange hat man in Europa und den USA China vor allem als Produktionsstandort, Absatzmarkt und letztlich ungefährliches Land wahrgenommen, dessen aus westlicher Sicht irgendwie „exotische“ und „friedensanimierende“ konfuzianische Prägung Aggressivität nach außen verhindere – Ein weiteres Beispiel dafür, wie dümmliche Stereotype auch außenpolitisch wirken und letztlich vor allem demjenigen schaden können, der zu oft in Stereotypen denkt.

Mögliche Folgen

Was folgt also aus der neuen Sicht auf China? Wie heißt es so schön: Das Problem an Prognosen ist, dass sie sich auf die Zukunft beziehen. Und die kann man nach wie vor nicht fehlerfrei vorhersagen. Einige Entwicklungen zeichnen sich aber schon jetzt ab, weswegen sie sich mit etwas Vorsicht und der richtigen Glaskugel 😉 fortschreiben lassen:

Wirtschaft: Wie ich im zweiten Teil der Serie bereits erörtert habe, wird zwar der Warenverkehr mit China auf einem hohen Niveau bleiben. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass zumindest einige westliche Firmen sich veranlasst sehen (durch eigene Entscheidungen oder staatlichen Druck), einen Teil ihrer Produktion aus China abzuziehen. Diese Produktion wird aber wohl weniger „zurück“, also nach Europa oder in die USA verlagert werden, sondern wahrscheinlich in andere Niedriglohnländer wie Vietnam, Bangladesch oder die Philippinen.

Technologie: Insbesondere in Schlüsseltechnologien wie der Netzinfrastruktur, der Informationstechnologie, der Medizin und der Biotechnik werden westliche Staaten künftig höllisch aufpassen, chinesische Industriespionage zu verhindern und Kooperationen mit chinesischen Unternehmen zu vermeiden. Der Lackmustest wird dabei der weitere Umgang mit Huawei beim Netzausbau sein.

Miliar: Die USA, die EU-Staaten und andere Länder werden weiter militärisch aufrüsten. Doch galt die bisherige Rüstung insbesondere der EU-Staaten meist Russland oder irgendwelchen Terroristen, werden künftige Aufrüstungsbemühungen verstärkt mit Blick auf Chinas Verhalten und Machtansprüche vorgenommen werden. Speziell bedeutet das für die Europäer, dass insbesondere die maritime Flottenrüstung neues Gewicht bekommen dürfte. Denn nur mit einer starken Flotte, idealerweise als europäische Marine organisiert, werden sich die internationalen Gewässer wie das Mittelmeer, der Indische Ozean oder das Südchinesische Meer vor möglichen Übergriffen oder Machtspielchen der chinesischen Regierung effektiv schützen lassen.

Kultur: Die Auseinandersetzung mit einem „systemischen Rivalen“ ist immer auch ein Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen. Das hat bereits der Kalte Krieg gezeigt und gilt in diesem Falle insbesondere für das Ringen um Einfluss („Soft Power“) in Zentralasien, Afrika und Lateinamerika. Da Europäer und US-Amerikaner ebenso wie die Chinesen wissen, dass die Sympathien der Menschen in anderen Ländern ihnen gegenüber stark von kulturellen Faktoren abhängen, dürften alle Beteiligten zum Beispiel ihre Sprachinstitute (etwa das Goethe-Institut oder das Konfuzius-Institut) weiter ausbauen. Über gezielt staatlich geförderte Filme, Bücher und Musik versuchen Staaten schon heute, Menschen im Ausland zu beeindrucken und für sich einzunehmen. Wir können daher erwarten, dass diese Tendenzen in Zukunft noch deutlich stärker werden.

Fazit

Das Coronavirus verstärkt eine Entwicklung, die sich auch vorher schon abgezeichnet hat. Besorgt über Industriespionage und Abhängigkeit, entsetzt über den Umgang mit den Uiguren und abgeschreckt vom Aufschütten künstlicher Inseln im Südchinesischen Meer und massiver militärischer Aufrüstung beginnen Europa und die USA, ihre Beziehungen zu China zu überdenken. Eine neue Wachsamkeit hält langsam Einzug. Standen bisher die Chancen eines starken Chinas im Vordergrund (Exportmöglichkeiten, günstige Standorte, spannende Reisen), so treten nun die Nachteile desselben deutlicher hervor (Abhängigkeit, Sicherheitsgefahren, Systemrivalität, Überwachung, Spionage). Und da eine baldige Demokratisierung Chinas oder eine plötzliche friedfertige Wende in dessen Außenpolitik nicht zu erwarten sind, wird sich an der grundlegenden Verschlechterung des Verhältnisses zum Westen in naher Zukunft auch nur wenig ändern.